Von WhatsApp über Smart Watches bis zur Industrie 4.0: Die Digitalisierung hat unseren Alltag und die Wirtschaft bereits fest im Griff. Nun hält sie auch in einer der letzten analogen Bastionen Einzug – dem Profi-Fussball. Was mit der Computersimulation «Football Manager» begann – nämlich die Nutzung von Datenmengen zur Simulation der Realität – könnte den Sport laut Experten grundlegend verändern. Denn wenn am Samstag die Rückrunde der Super League beginnt, werden die besten Schweizer Talente nicht nur von den Fans genau beobachtet. Das Stichwort heißt Künstliche Intelligenz. Schon heute analysieren Statistik-Tools und Live-Tracking-Systeme in Echtzeit Passquoten, Torschüsse, Zweikämpfe und viele weitere Ballereignisse. Software-Giganten wie Microsoft, IBM oder SAP liefern die entsprechende Software und Algorithmen.

Der Transfer des Brasilianers Neymar vom FC Barcelona nach Paris Saint-Germain im Jahr 2017 erklärt, warum diese Entwicklung von vielen Beteiligten großen Zuspruch erhält: Schier unglaubliche 222 Millionen Euro zahlte der französische Verein für den damals 25-Jährigen. Immerhin 35 Millionen Euro brachte der Wechsel des Fussballvirtuosen Ronaldinho vom FC Barcelona zum AC Mailand vor zehn Jahren ein. Kaum verwunderlich, dass Vereine, Verbände und Werbepartner nichts mehr dem Zufall überlassen wollen. Denn der Wettbewerb im Fussball findet längst nicht mehr nur auf dem Platz statt – sondern auch in den Laboren der großen Teams und Universitäten wie der Sporthochschule Köln. In den Jugendakademien gehört es zum Standard, Nachwuchstalente zu vermessen und verdrahten.

Doch noch bleibt der große Erfolg der Forschung aus: Angesichts der immensen Summen, die grosse Fussballvereine wie der FC Basel, FC Barcelona, TSG Hoffenheim oder auch die deutsche Fussball-Nationalmannschaft dort investieren, müssten sie eigentlich reihenweise Titel holen. Die Realität sieht allerdings anders aus – bisher wurde kein Superstar per Datenanalyse entdeckt.

Denn die Labore haben ein Problem: Die Daten, mit denen sie die Computer füttern und anhand derer diese ihre Entscheidungen treffen, sind meist nicht valide oder schlicht irrelevant. Es gilt der englische Spruch: «garbage in – garbage out».
Ein Blick auf die meistverwendeten Messsysteme – nämlich GPS und Beschleunigungssensoren – deckt die Fehler vieler Mannschaften auf.

GPS (Global Positioning System)
Bei GPS-Messungen ist mit Abweichungen zwischen 6 und 8 Metern zu rechnen. Jeder Autofahrer kennt dieses Phänomen vom Navigationssystem: Nimmt man auf der Autobahn nicht die vorgeschlagene Abfahrt, zeigt das System die aktuelle Position des Fahrzeugs für eine kurze Weile falsch an – nämlich so, als hätte man die Abfahrt tatsächlich genommen. Was im Personenverkehr kein Problem darstellt, kann im Profisport erhebliche Fehlmessungen zur Folge haben: So kommt es vor, dass ein Spieler laut Computer 12 Kilometer zurückgelegt hat – obwohl er in Wirklichkeit gerade einmal 8 Kilometer in 90 Minuten Spielzeit gelaufen ist.

Beschleunigungsmesser
Jeder, der einen Schrittzähler besitzt, weiß, wie ungenau die Angaben dieser Geräte sind, und wie leicht sie in die Irre geführt werden können – die richtige Handbewegung reicht, um Schritte vorzutäuschen. Man stelle sich nun vor, dass diese Technik im Profifussball eingesetzt wird: Die unspezifischen Bewegungsmuster eines Fussballers machen eine valide Erfassung von Sprints, Tempo oder Antritt mit einem Bewegungssensor unmöglich. So kommt es vor, dass der Algorithmus den Sprung als Sprint erfasst und umgekehrt. Die Hersteller helfen sich hier mit Formeln, die das Problem aber nicht beheben, sondern höchstens kaschieren. Die Ergebnisse weichen daher stark von der Realität ab.

Das Potenzial, das künstliche Intelligenz im Fussball birgt, ist enorm. Sie könnte die objektive Beurteilung von Spielern ermöglichen und damit Motivation insbesondere bei jungen Talenten schaffen. Sie könnte sogar dabei helfen, Verletzungen früher zu erkennen, indem sie das Spielverhalten eines Sportlers auswertet und Trends erkennt. Letztlich werden Teams dieses Potenzial aber erst heben können, wenn sie die Qualität der Daten steigern können, mit denen sie Software und Algorithmen füttern. Eine wichtige Rolle nimmt dabei auch die menschliche Komponente ein: Denn je innovativer die Technologie, desto schwieriger ist es, geschultes Personal zu finden, dass die zur Verfügung stehenden Daten und die daraus resultierenden Ergebnisse richtig interpretieren kann. Im Fussball gilt also wie in zahlreichen anderen Bereichen des Lebens: Spielvorteil gewinnt der, der dem Gegner einen Schritt voraus ist.